Mit großer Freude stellen wir Ragna Miller als neue Landesjugendpastorin der Bremischen Evangelischen Kirche und Leiterin des Landesjugendpfarramtes vor. Seit dem 1. Mai 2025 arbeitet sie mit anderen an der konzeptionellen und strategischen Ausrichtung der evangelischen Jugendarbeit im Land Bremen und vertritt die Interessen junger Menschen innerhalb unserer Kirche. Schon seit Dezember 2023 ist Ragna Miller Landesjugendpastorin in Vertretung, aber nun endlich mit voller Stelle und voller Verantwortung.
Interview mit Ragna Miller
Der zündende Funke
Wenn du auf deinen eigenen Glaubensweg schaust: Welcher Moment hat dich zuletzt richtig elektrisiert – und wie kannst du diesen Funken so übersetzen, dass er Bremer Jugendlichen Lust auf Kirche macht?
Am letzten Reformationstag habe ich gemeinsam mit vielen einen Gottesdienst gestaltet, der hieß „Thesen am Tresen“. Eine Kanzel in der Gemeinde sieht, wenn man ehrlich ist, wie ein Kneipentresen aus. So saßen also verschiedene Menschen an diesem Kanzel-Tresen. Sie saßen auf alten Barhockern aus der Kneipe gegenüber und haben von Hoffnung, Glauben und Zweifeln erzählt. Was mich daran elektrisiert hat? Wir haben diesen Gottesdienst zusammen entworfen. Haben uns Fragen gestellt: Wie funktioniert die Idee? Was ist das Thema? Welche Musik soll es geben? Was ist ein guter Sprachstil – also auch für Gebete und Bekenntnisse? Und im Anschluss – was braucht es da? Ich mag es, wenn Gottesdienste Orte sind, an denen Menschen sich beteiligen und ausprobieren können. Wenn ich als Pastorin nicht vorn herumspringe und alles allein mache. Wenn Menschen in Gottesdiensten und Vorbereitung über die großen Themen sprechen und sich zeigen – so wie sie sind und mit allem, was sie können.
Radikale Relevanz
Jugendliche fragen nicht, ob Kirche „cool“, sondern ob sie relevant ist – etwa bei Klimaangst, mentaler Gesundheit oder Identitätsfragen. An welchem Punkt willst du am dringendsten den Diskurs aufmischen und warum?
Demokratie und Erinnerungskultur – das sind die beiden Themen, die ich derzeit in den Mittelpunkt setzen würde. Meines Erachtens muss die Kirche deutlichere Haltung zeigen. Rechte Parteien werden stärken. Antidemokratische Machthaber sind in Europa und weltweit im Aufwind. Es gibt ein Rollback bei Themen wie Diversität und Feminismus. Kirche sollte unbedingt einen Raum für offenen Debatten bieten – auch wenn das anstrengend ist. Kirche muss laut sein für Demokratie und Menschenrechte, wenn sie Kirche sein will.
Und daneben beschäftigt mich – aus ähnlichen Gründen – das große Thema Erinnerungskultur. Die letzten Zeitzeug*innen sterben, immer mehr Menschen stellen die Bedeutung von Erinnerungskultur in Frage, Fake News über die Shoah werden verbreitet und geglaubt. Bei diesem Thema finde ich es besonders interessant, gemeinsame Lernorte für Menschen aller Altersgruppen zu schaffen. Auch Kirche hat sich in der NS-Zeit schuldig gemacht, und es gilt, die Erinnerung zu bewahren, um eine andere Zukunft möglich zu machen.
Die 10.000 Euro-Frage
Stell dir vor, du bekommst spontan 10.000 € und sollst ein Jugendprojekt zum Thema spirituelle Praxis starten – jenseits klassischer Kirchenräume. Was würdest du machen?
Ich würde versuchen, eine Gottesdienst-Werkstatt mit Zukunft zu organisieren.
Der Raum wäre definitiv kein klassisches Kirchengebäude, auch kein Gemeindehaus, nicht der typische Jugendkeller-Schick, sondern vielleicht ein Café mit offener Bühne, ein Gemeinschaftsgarten oder einfach der leer stehende Laden an einer Hauptstraße in Bremen. Wichtig sind eine entspannte Atmosphäre, Sitzmöglichkeiten, Rückzugsorte und Raum für Aktionen und Gottesdienste.
Inhaltlich: Gemeinsam überlegt man, wie Gottesdienst sein könnte, wenn man ganz neu denken darf. Formate und Orte werden ausprobiert, ganz absurde Dinge gewagt … Und dazu gibt es natürlich auch Projekt-Bands und Chöre. Es gibt Schreibwerkstätten und vielleicht Poetry Slam-Veranstaltungen. Es gibt Kunst- und Tanz-Aktionen – falls es Leute gibt, deren Spiritualität diese Wege gehen will. Und natürlich redet man gemeinsam über Gott und die Welt, diesen Jesus, von dem es heißt, er sei der Sohn Gottes. Auch über die heilige Geistkraft, diese komische Sache, die niemand so recht versteht. Wir streiten darüber, ob Gott queer ist und laden Menschen ein, die theologisch anders ticken. Denn dann wird es spannend. Ich würde mir wünschen, wir fänden neue Worte für alte Wahrheiten und alte Worte für neue Ideen.
Ein solcher Ort wäre mehr als ein spiritueller Treffpunkt – er wäre ein Raum für Sinnsuche, Begegnung, Streit und Versöhnung.
Mut zur Reibung
Leitung ist nicht immer einfach. Wo willst du in deiner neuen Rolle bewusst polarisieren, um notwendige Diskussionen anzustoßen, statt Harmonie zu verwalten?
Es wird immer gesagt: Das Landesjugendpfarramt ist die Lobby-Stelle für junge Menschen. Klingt gut. Lobbyarbeit für junge Menschen tut auch Not, weil es davon in Deutschland derzeit echt wenige gibt. Welche Positionen haben junge Menschen? Was brauchen sie? Wo wollen sie sich beteiligen? Wo werden sie als Tarnung missbraucht? All das sind Themen, die auf den ersten Blick einfach klingen, aber die zu kritischen Auseinandersetzungen mit „alten“ Strukturen führen.
Und dann gibt es das Thema Sparen. Kirche muss sparen. Wir müssen mit immer weniger Hauptamtlichen und weniger Geld die möglichst gleiche echt gute Arbeit machen. Es wird also nötig sein, lieb gewordene Dinge sein zu lassen. Bereiche neu zu denken und neue Arbeitsfelder zu beackern. Arbeitsabläufe müssen sich verändern … Und das alles muss auch unter dem Aspekt „Macht“ bedacht werden. Wer trifft hier Entscheidungen für wen und wessen Zukunft? Ich denke, das sind Themen, die ich angehen werde – Veränderungen. Wir – und damit meine ich Hauptamtliche wie Ehrenamtliche – werden uns streiten und Strukturen infrage stellen und uns zusammenraufen und neue Wege finden.
Die Bremische Evangelische Kirche, das Landesjugendpfarramt und die Evangelische Jugend Bremen wünschen Ragna Miller einen guten und gesegneten Start in ihr neues Amt.
Die Einführung von Ragna Miller findet am Freitag, 22. August 2025 um 16:00 Uhr im forum Kirche statt.